Gesellschaftliche Diktatur

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von Simon Chedid

Sobald man das Wort „Diktatur“ hört, denkt man an die Einschränkung von Freiheiten, wie z. B. der Meinungsfreiheit und den Verlust der Selbstbestimmung. Jedoch ist hierbei anzumerken, dass nicht nur der staatliche, sondern auch der gesellschaftliche Einfluss einen enormen Anpassungsdruck nach sich ziehen kann. Wer sich dem jeweils vorherrschenden Rollenbild nicht fügt, läuft Gefahr ausgeschlossen und diffamiert zu werden. Zwar kann das soziale Umfeld keine Geld- oder Haftstrafen aussprechen, aber trotzdem genug Druck ausüben, um bestimmte Lebens- und Verhaltensweisen zu erzwingen. Deswegen halten sich viele, trotz anderer individueller Bedürfnisse und Fähigkeiten, an diese gesellschaftlichen Vorstellungen. Anhand eines fiktiven konservativen Dorfes lässt sich dieses Phänomen veranschaulichen. Ein junger Mann namens Jakob und eine junge Frau namens Caroline teilen ihre Zukunftspläne den Freunden und Verwandten in der Gemeinde, in der sie aufgewachsen sind, mit. Caroline hat vor, Informatik zu studieren und dann eine Karriere als Computerspielentwicklerin in einem Unternehmen zu beginnen. Dieser Wunsch stößt auf viel Skepsis. Sie würde ihre zukünftige Familie vernachlässigen, Frauen wären nicht in der Lage technische Berufe auszuüben, ihre Kommilitonen und Kollegen werden sie ohnehin nicht ernst nehmen usw. Parallel dazu werden Gerüchte gestreut. So sei sie der Propaganda aus dem Ausland oder bestimmter Bewegungen zum Opfer gefallen, träumerisch und naiv, unmoralisch erzogen worden oder nur verliebt, weswegen sie ihren Klassenkameraden hinterherlaufen möchte. Infolge der negativen Rückmeldungen ist sie sich ihrer Zukunftspläne nicht mehr sicher. Zudem gehen Freunde und Familie auf Distanz. Am Ende steht sie allein und ohne Unterstützung da. Jakob musste bereits Ähnliches durchmachen. Sein Wunsch Pilot zu werden, kam in der Gemeinde überhaupt nicht gut an. Wer sollte die Frauen schützen, wenn er nicht nach Hause kommt? Das war eine weit verbreitete Frage. Er sei zu träumerisch und dürfe als Mann nicht mit Schulden eine Beziehung beginnen. Das Beispiel ist tatsächlich nicht übertrieben, sondern realistisch, auch wenn derartige gesellschaftliche Zustände nicht mehr so verbreitet sind, wie in den 1950er-Jahren. Außerdem ist diese Form des sozialen Drucks nicht die einzige. Zum Beispiel liegt bei akademisch geprägten Familien der Fokus sehr stark auf den Schulnoten der Kinder. Zum Schluss ist hervorzuheben, dass es nicht reicht, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit in die Verfassung zu schreiben, sondern dies muss auch Bestandteil der Lebensrealität der Menschen sein. Ansonsten bleibt die individuelle Freiheit nichts anderes als eine politische Theorie.