Tierpark Hagenbeck – Die Instastory

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Er stand alleine im Zoo, den obersten Knopf seines Hemdes gelockert, rückte sich den Hut zurecht und drückte seine Zigarette an den Gitterstäben des Löwengeheges aus. (Verzeihung, ich las zu viel deutsche Weltliteratur, weshalb ich instinktiv einen gebrochenen Mann Mitte fünfzig als Protagonisten vor Augen hatte.)
Sie saß nachts auf der Mauer im Zoo, es war schwül, doch langsam verzog sich die Wolkenfront und gab den Sternenhimmel frei. Genüsslich biss die junge Influencerin (oder wie ich sage: Instagram-Nutzerin) in ihren Bio-Mango-Kiwi-Riegel. Sie war seit langer, langer Zeit mal wieder nicht beruflich unterwegs. Ihre Kleidung nicht gesponsert, die Haare nicht gestylt, das Gesicht unbemalt und nicht einmal ihr Smartphone hatte sie dabei. Das Leben war doch irgendwie eine Farce, dachte Lina, rieb sich die müden Augen, betrachtete den schlafenden Elefanten und fühlte sich sehr klein.
Ihr Magen knurrte, kurz darauf fühlte sie ihr Handy vibrieren, wusste einen kurzen Moment nicht mehr um ihre Abgeschiedenheit und fasste folglich enttäuscht in die leere Tasche ihrer Jeans. War sie mittlerweile so konditioniert, dass sie auch nur bei einem Anflug von Einsamkeit (oder sehr stark ausgeprägter Einsamkeit, aber so etwas sagt man heutzutage nicht mehr) ihr Smartphone vibrieren hörte? Billige Betäubung, Stopfung des inneren Loches. Die Plastikverpackung ihres Riegels steckte sie in ihre andere Hosentasche, würde sie bestimmt zuhause wegwerfen. Dort fand die Verpackung sich unter Artgenossen wieder, die einige Waschgänge miterleben durften und sich mit dem Neuankömmling fürs erste freundschaftlich engagierten. Lina kratzte sich am Kopf.
Plötzlich schreckte sie auf: Blitzlicht! Zog ein Gewitter herauf? Soeben hatte sich der Himmel noch aufgeklärt, laut Wetterapp nur 20 Prozent Wahrscheinlichkeit! Sie wartete ganz still, sah Bewegun-gen vor sich, im Elefantengehege. „Einbrecher?“, murmelte sie fragend. Was hatten denn Einbrecher im Zoo zu suchen? Wollte jemand die Tiere befreien? Ein weiterer Blitz war zu sehen, dieses Mal offensichtlich aus dem Elefantengehege stammend. Waren das Ausbrecher? Versuchte jemand die Gitterstäbe zu zerstören? Lina hatte zu viel Zeit mit Unterhaltungsmedien verbracht – es wäre wesentlich praktischer einfach das Schloss des riesigen Zugangstores zu zerstören, anstatt ein meterhohes, breites Loch in den massiven, aus Eisen und Stein bestehenden Zaun des Käfigs zu schmelzen. Egal.
Nun stellte sich die Frage nach der Moral – wer war eher Tierschützer, das war sie nämlich, laut ihrer Instagram-bio, derjenige, der den Elefant in die Freiheit entführte, oder derjenige, der verhinderte, dass der Riese verschwindet? Kurz versuchte Lina ihre Situation auf Hegels Dialektik der Historie zu beziehen, dann entschied sie sich allerdings – wie ein echter Superheld – einfach den Mut zu fassen, und gegen diejenigen zu kämpfen, die unsere friedvolle Welt versuchen zu ändern. (Ja tatsächlich, ein Freund wies mich darauf hin: Kein Superheld der Welt geht davon aus, dass die aktuelle Welt schlecht ist. Ihr Job ist es diejenigen, die diese Welt – mit zugegeben diffusen Methoden – versuchen zu ändern, eben daran zu hindern, als lebten wir in einer Utopie des Glückes ,nur gestört von revolutionären Verrückten.) Ganz gemäß der Superhelden-Dramaturgie stürmte Lina also los, wollte die aktuelle Utopie der eingesperrten Wildtiere bewahren, kletterte über den Zaun, geschickter als man denken könnte – vom Affen, der nur zwei Gehege entfernt schlief, war sie offensichtlich nicht allzu stark entfremdet – und kam im Reich des Elefanten an. Sie stürmte auf das Blitzlicht zu, und rempelte gegen eine neunzehnjährige Barbiepuppe, mit dunkelbrauner Haut, blondem, zu einem Zopf gebunden Haar und strahlend blauen Augen, welche eine Jeansjacke trug, die etwa auf halbem Weg zwischen Brustwarze und Bauchnabel abgeschnitten war. „Was machst du hier, alter?“, rief die Blonde der dunkelhaarigen Lina zu, wobei sie das „t“ von „alter“ wie ein „d“ aussprach. „Alder“.
Sogleich erkannte Lina in ihr eine Influencer-Kollegin auf der Jagd nach einem frischen Selfie, sie hatten sich schon ein, zwei Mal bei den Gewerkschaftstreffen gesehen. Die Beiden machten noch einige Selfies zusammen vor dem schlafenden Elefanten, welcher glücklicherweise nicht vom Blitz-licht aufwachte, dann tauschten sie Insta-Namen aus.
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