Interview mit Eva Gruberova am 8.4.2022 – „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“

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Frau Gruberova war im Rahmen unserer jährlichen Veranstaltung „ Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ als Gastreferentin zu Besuch und hat einen spannenden Vortrag über den Antisemitismus gehalten. Sie ist Autorin (z.B. „Diagnose: Judenhass “ von 2021), Referentin in der KZ-Gedenkstätte in Dachau, außerdem noch Journalistin und wirkt bei der Anlaufstelle RIAS, die antisemitische Vorfälle meldet und in Statistiken umwandelt, mit.

Das Interview führten die Schülerinnen Anna Bauer und Noemie Jaegle (13 GB)

Was genau ist der Unterschied zwischen Antisemitismus und Rassismus, Frau Gruberova?

Antisemitismus und Rassismus haben sehr viele Gemeinsamkeiten, denn beide richten sich gegen bestimmte Gruppen. Der Unterschied jedoch ist, dass Rassisten denken, dass derjenige gegenüber unterlegen ist und hierbei vor allem als primitiv und triebgesteuert gesehen wird. Der Rassist denkt, man kann diesen Menschen unterdrücken und aus dem Land weisen. Beim Antisemitismus geht das schwieriger. Ein Antisemit glaubt, dass dieser „Fremde“ überlegen ist, also derjenige ist, der etwas Böses möchte und hinter dem Rücken agiert. Es gibt aber auch den rassistischen Antisemitismus. Hier grenzt man Juden aufgrund ihrer körperlichen Besonderheiten aus.

Was bedeutet Courage für Sie und wie kann jeder von uns mehr davon im Alltag einbauen?

Ich habe selber einen Preis für Zivilcourage von der Stadt Dachau mit einer Schülergruppe verliehen bekommen, da wir uns gegen einen Rechtsextremen in der KZ-Gedenkstätte Dachau gestellt haben. Dieser wollte in dieser Gedenkstätte ein Video für seine Zwecke drehen, was ich nicht zugelassen habe, da ich ihn, durch meine Recherche über Antisemitismus in Deutschland, erkannt habe. Es war ein natürlicher Instinkt für mich. Die Schüler haben ihn zurecht gewiesen und gesagt er solle sich schämen, während ich Verstärkung geholt habe. Zivilcourage bedeutet für mich, dass man sich auf die Seite des Betroffenen stellt, sich solidarisch zeigt und seine Ängste überwindet. Man muss nicht den Helden spielen, es reicht zum Beispiel bei Situationen, wenn jemand gemobbt wird, aus, dass man dazwischen geht und versucht die Situation zu entschärfen. Wenn auf der Straße eine Gewalttat passiert, dass man ganz einfach das Geschehen fotografiert und die Polizei verständigt. Lasst die Betroffenen nicht alleine, aber bringt euch auch selber nicht in große Gefahr. Antisemitische Vorfälle, auch diejenigen die einem alltäglich erscheinen, sollte man definitiv melden, eine Anlaufstelle hierfür ist die RIAS in Bayern. Hier können alle judenfeindlichen Vorfälle gemeldet werden, welche dann entweder der Polizei weitergeleitet werden oder auch für Statistiken benutzt werden, sodass einem vor Augen geführt wird, wie sehr der Antisemitismus in Deutschland noch verbreitet ist.

Wieso is der Rassismus noch heutzutage, wo man ja meint, dass man aus den Fehlern seiner Vorfahren gelernt haben sollte, noch so stark verbreitet?

Ich finde, dass es in Deutschland diesen Mythos gibt, dass die Geschichte so gut aufgearbeitet wurde. Die Schulen bieten hier eine gute Aufarbeitung, jedoch sind die familiären Blasen ein großes Problem. Die Jugendlichen wissen heutzutage wenig von ihren Urgroßeltern. Wahrscheinlich denken sie, dass sie im Widerstand gewesen sind. Was bei den meisten natürlich nicht stimmt. Das Problem ist, dass sie sich entweder nicht dafür interessieren oder es die Eltern oder Großeltern verheimlichen. Dann reißen diese Jugendlichen antisemitische Witze, weil sie denken, dass sie in keiner Verbindung mit dem Antisemitismus stehen und ihnen alles so abstrakt vorkommt. Oft bringt man sich selber damit nicht in Verbindung. Es ist jedoch wichtig eine konkrete Vorstellung von seinen Wurzeln zu haben, weswegen man beispielsweise in das Bundesarchiv in Berlin schauen kann und dort meistens über seine Vorfahren, auch über die Kriegsverbrechen, recherchieren kann. Wenn wir alles so gut aufgearbeitet hätten, hätten wir jetzt keine so große Anzahl an Antisemiten und antisemitischen Einstellungen.

Wieso kommt Antisemitismus aus der bürgerlichen Mitte, Frau Gruberova?

Man meint ja immer, dass ein Antisemit ein Extremist sein muss, egal ob links oder rechts. Das ist jedoch nicht das größte Problem. Das Problem ist die große Allgemeinheit der Bevölkerung, die bürgerliche Mitte. Wir müssen den Antisemitismus bekämpfen, an Universitäten, an Schulen, in Sicherheitsorganen, auch auf der Straße, in der Nachbarschaft, im Freundeskreis. Sogar in der eigenen Familie, weil wir eine wahnsinnig lange Geschichte haben – eine sehr lange Geschichte des Judenhasses, die über 2000 Jahre zurückgeht. Was also sind diese wenigen Jahrzehnte in denen wir Aufklärung betreiben? Diese Bilder über die Juden sind mittlerweile so tief in unseren Köpfen verankert, dass es die gesamte Gesellschaft betrifft.

Frau Gruberova beim Vortrag in der FOS/BOS Augsburg


Sie selber haben große Courage gezeigt, bei einer Auseinandersetzung mit einem rechtsextremen Besucher in der KZ-Gedenkstätte in Dachau. Es kam sogar zu einer Gerichtsverhandlung. Wie haben sie die Courage gefunden, sich durchzusetzen und gegen diese Person bis zu Gericht vorzugehen?

Ich habe es gar nicht als Zivilcourage empfunden sondern es ist etwas das mir als selbstverständlich vorkommt. Ich habe ihn gesehen und ihn direkt erkannt. Durch meine Recherche für das aktuelle Buch hatte ich diesen Mann schon im Fernsehen gesehen. Ich wusste, dass er rechtsextremes Gedankengut hat. Übrigens ein ehemaliger Lehrer ist das auch. Das ist jetzt, was ich meine, Mitte der Gesellschaft. Und auch der letzte, also auch der Attentäter von Halle war ein Student, seine Mutter Lehrerin. Ich habe ihn dann gesehen und konnte erahnen wofür er gekommen ist:  Dass er provozieren möchte. Und das wollte ich unbedingt verhindern. Ich habe ihn einfach angesprochen und Hilfe geholt. Dabei war eine Schulklasse vom Gymnasium Kirchsee und diese tollen Jugendlichen haben ihm während ein paar Minuten, in denen sie alleine mit ihm waren, weil ich Hilfe bei der Gedenkstätte holen musste, widersprochen und gesagt, er solle sich schämen. Diese Schüler haben sogar vor Gericht ausgesagt und sie haben sich nicht einschüchtern lassen – obwohl dieser Mann sogar zwei Schülerinnen und mich in einem Youtube-Video beim Namen genannt hatte. Es ist nicht angenehm im Gerichtssaal einem Rechtsextremen gegenüberzustehen. Die Schüler waren damals erst 14-15 und das verdient Respekt. Das ist was ich meine, wenn ich sage man muss über seine eigenen Ängste hinauswachsen. In dem Moment das Richtige zu tun ist etwas was man trainieren kann. Aber das hat auch mit Empathie und Menschlichkeit zu tun und, dass es einem nicht egal ist, was um ihn herum passiert.

Sie sind heute für das Thema „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ an die FOS/BOS Augsburg gekommen. Wieso denken Sie, dass vor allem in Schulen die Aufklärung gegen Rassismus wichtig ist?

Eure Schule hat diese Auszeichnung bekommen – „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ – aber eine Schule komplett ohne Rassismus gibt es nicht. In allererster Linie hilft ein solches Label beim Sprachverständnis und Austausch. So hilft es eine Schule gegen Rassismus anzugehen und es ist ein Hebel der verpflichtet dieses Verhalten im Alltag zu verinnerlichen. Und zum Thema Antisemitismus: Dieser Antisemitismus begann nicht in Auschwitz oder bei den Gaskammern, sondern er beginnt viel früher. Er beginnt mit den Worten bevor überhaupt die Taten umgesetzt werden. Er beginnt mit den Worten, die sich festsetzen und dann kommt der Hass, der geschürt wird. Und ich finde, je früher man beginnt mit der Aufklärung, desto besser. Weil ein 10-jähriger hat noch keine rassistische und antisemitische Ressentiments, aber mit 13, 14 kann sich das schon herausbilden. Kinder und Jugendliche haben in den allermeisten Fällen noch kein geschlossenes Weltbild. Und deswegen muss man präventiv wirken, dass sich so ein Weltbild überhaupt nicht entwickelt.

Sie haben vorher in Ihrem Vortrag erklärt, dass es einen Unterschied zwischen dem israelischen Antisemitismus gibt und dem sekundären Antisemitismus. Könnten Sie dies wiederholen?

Also es gibt zwei aktuelle Erscheinungsformen des Antisemitismus die sich nach 1945 herausgebildet haben. Israel ist ja erst nach der Gründung 1948 entstanden. Bei dem israelischen Antisemitismus projektiert man Stereotype und Vorurteile spezifisch auf das israelische Volk. Das beginnt schon damit, dass das Existenzrecht von Israel in Frage gestellt wird. Sekundärer Antisemitismus ist die Abwehr der Schuld an dem Holocaust. Man schiebt die Schuld auf die Juden, um sich so selber nicht mehr schuldig zu fühlen.

Ich möchte einen Bezug zu heute schaffen. Wie nehmen Sie den Ukraine Krieg wahr und glauben Sie, dass gegen die Russen auch eine Art Ausgrenzung oder sogar Rassismus stattfindet?

Es beschäftigt mich sehr. Vor diesem Buch haben wir, mein Mann und ich, ein Buch geschrieben, das heißt „eine Reise zu den letzten Juden Osteuropas“. Und wir haben die Ukraine bereist. Ich komme aus einem Nachbarland der Ukraine. Deshalb geht es mir sehr nahe, die Menschen der Ukraine durch diesen Angriffskrieg leiden zu sehen. Und ich konnte es nicht glauben, als es begonnen hat. Gleichzeitig Menschen kollektiv für etwas verantwortlich zu machen, wofür sie nichts können, ist unfair. Ich finde, dass so eine kollektive Hetze, egal ob gegen die Ukraine oder gegen die Russen, nicht zu einem guten gesellschaftlichen Klima beiträgt. Also jetzt sind die Emotionen sehr groß, weil wir jetzt auch täglich diese Bilder sehen im Fernsehen. Und das ist dann auch irgendwie auch verständlich, dass man irgendwann mal andere verallgemeinert, aber man soll sich dessen bewusst sein, dass man pauschalisiert und man sollte nicht die Unschuldigen dafür zur Rechenschaft ziehen. Eine Gesellschaft ist immer im Plural, da gibt es auch mehrere Meinungen. Und deswegen bin ich dagegen, dass man eine kollektive Schuldzuweisung macht. Ich versuche mich jetzt von beiden Seiten zu informieren und ich glaube, das sollen alle machen und auch so ein Urteil treffen. Aber ein Angriffskrieg ist mit nichts zu rechtfertigen. Wenn Zivilisten sterben, überhaupt in ein fremdes Land einzumarschieren, egal wie man sich jetzt vielleicht von der NATO benachteiligt fühlt bzw. in die Ecke gedrängt wurde, das kann man analysieren, aber vielleicht sind dann auch mal in der Politik des Westens Fehler gemacht worden, in Bezug auf Russland. Aber nichts rechtfertigt einen Krieg. Und das, das ist eine rote Linie, die man nicht überschreiten darf.