Kurzgeschichte: Der Supermarkt

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Daniel Plotetzki

Es ist ein Morgen wie jeder andere, und ich weiß schon jetzt, dass mir der heutige Ablauf zuwider sein wird. Ich gehe im Halbschlaf weiter ins Bad, putze meine Zähne, dusche mich und mache mich bereit, das Haus zu verlassen. Mein Mitbewohner wartet hingegen schon sehnsüchtig auf mein Erscheinen, da ihm doch glatt sein Frühstücksmaterial ausgegangen ist. Weil ich das einzige Auto besitze und der nächste Supermarkt doch einige Kilometer entfernt ist, wird mir, als ich unseren gemeinsamen Wohnraum betrete, gehuldigt, als wäre ich ein gottgleiches Wesen, das ihn nun von seinem Hungerleiden befreien würde. Daraufhin steigen wir dann also in mein Auto und fahren in das Nachbardorf zu dem nächsten Supermarkt. Ein Parkplatz ist auch relativ schnell gefunden und der Einkaufswagen hat doch tatsächlich dieses Mal keinen Schaden. Nach unserem Eintreten werden wir wie immer freundlich von den Mitarbeitern nicht gegrüßt und gesellschaftlich wertvoll nicht einmal eines Blickes gewürdigt, als diese an uns vorbeitrotten – mit Augen so ausdruckslos wie jene eines toten Waschbären. Doch wer bin ich, darüber zu urteilen, dass dieser Beruf nicht gerade die Erfüllung des Lebens für diese Mitarbeiterin mittleren Alters darzustellen scheint? Ich bin gerade derjenige, der mehr oder weniger gegen seinen Willen hier in diesem Sanktuarium des Konsums herumschlendert und sich fragt, warum es zwei gleichartige Toastsorten gibt, die sich lediglich durch ihren wundervoll designten Aufdruck und durch höllische Preisdifferenzen unterscheiden. Aber ich schweife ab. Wenn ich doch jetzt wüsste, wo der Einkaufszettel hingekommen ist. Im Auto? In einer der unzähligen Taschen meiner Jacke? Oder vielleicht hat ihn doch mein Mitbewohner eingesteckt? Mit dem Ausruf meines Mitbewohners, dass es hier Tomaten im Sonderangebot gebe, wurde jedoch mein Gedankenstrom von in Signalfarbe rot prangenden Angebotsschildern unterbrochen. Scheinen wohl in ihrer Funktionalität wirksam zu sein. Was mich gerade daran erinnert, dass heute wahrscheinlich wieder diese junge gutaussehende Kassiererin da sein wird, mit der mein Mitbewohner mal fast etwas angefangen hätte, die er dann aber aus mir unerklärlichen Gründen fallengelassen hat wie einen Sack Kartoffeln. Wie ich dann später erfahren habeist ihm das durchaus peinlich. Deshalb hat er auch schon vorher versucht ab diesem Zeitpunkt, jedes Mal ihre Kasse zu meiden. Selbst wenn es die einzig offene ist! Das wird wohl wieder einer dieser Momente, in der wir in den Gängen des Supermarktes stehen, die Vielfalt an Lebensmittel bewundern, uns auf den Schreck eine Schnapsflasche in den Wagen legen und darauf warten, dass uns eine dieser toten Waschbären mit den Worten: „Liebe Kunden! Wir öffnen Kasse 3 für Sie!“ von unserem Leid erlöst.