Interview mit Herr Eszlinger – Leiter des Jugendasylantenheimes Neuburg 

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Betremariam Tebebe

Mein Name ist Betremariam Tebebe und ich besuche derzeit die Fachoberschule Augsburg. Meine Eltern sind vor über 20 Jahren nach Deutschland gekommen und wurden ins Asylantenlager Neuburg an der Donau gebracht. Ich verbrachte dort viele Jahre meiner Kindheit und auch nach meinem Auszug ist dieser Ort voller Erinnerungen und Gefühle. Für dieses Interview kehrte ich in mein ehemaliges Lager zurück und durfte mit dem momentanen Leiter des Jugendasylantenheimes, Herr Eszlinger, sprechen.

Verweis: Herr Eszlinger, Leiter der Jugendgruppe zu sein, ist sicher eine große Aufgabe. Unsere Leser würde es sicher interessieren, wie Sie mit dem Druck umgehen und was Sie antreibt, diesen Beruf auszuüben?

Eszlinger: Ich habe ein Angebot bekommen und ich war schon 5 Jahre lang in der Jugendhilfe tätig, und es war natürlich sehr interessant für mich, einen komplett neuen Bereich im Träger aufzubauen, der schon 700 Mitarbeiter hat. Wir haben dann vorgearbeitet und zum 01.10.2015 ist die Containeranlage in Betrieb gegangen. Am 28.09. war hier noch nichts drinnen, und es war komplett ungeheizt.

Der Druck war bei allen sehr groß, und es war eine sehr spannende und aufwühlende Zeit jetzt bis kurz vor Weihnachten, weil wir dann in der Zeit auch noch drei Wohngemeinschaften aufgemacht haben, wo wir dann die Jungs hier aus den Containern rausverlegt haben. Das heißt, wir haben hier in 2½ Monaten ungefähr 42 Jungs aufgenommen, weiterverteilt, zurückgeschickt, in andere Einrichtungen gegeben.

Druck ist schon ein Thema, aber die Stiftung Sankt Johannes macht’s relativ leicht, weil mit einem so großen Laden im Hintergrund Sicherheit da ist. Was hat mich bewogen, das zu machen? Grundsätzlich bin ich immer an anderen Kulturen und anderen Religionen interessiert gewesen. Das Neue ist interessant, das Fremde ist interessant und deswegen mache ich das. Und natürlich, weil das soziale Arbeit ist, und ich dementsprechend ausgebildet bin.

Eigenartige Vertrautheit – mein Vater in seinem ehemaligen Lager.

Verweis: Wie viele Betreuer bzw. Pädagogen arbeiten hier derzeit?

Eszlinger: Wir haben elf Fachkräfte, von denen zehn Vollzeit arbeiten, und Hilfskräfte habe ich derzeit fünf. Normalerweise ist Jugendhilfe, gerade wenn es um stationäre Betreuung geht, zu 100% eine reine Fachkraftangelegenheit.

Es gibt klare Regelungen im Zuge der Herausforderungen, die sich hier aufgetan haben. Man braucht mehr Jugendliche auf einem Fleck, größere Einrichtungen und deswegen hat die Bayerische Staatsregierung, drei Sonderformen geschaffen. Einmal das Ankommen im Brennpunkt und dann Übergangsstufe 1 und Übergangsstufe 2. Und wir sind hier in Übergangsstufe 2, das bedeutet, ich darf im Prinzip 50/50 einsetzen, also Fachkräfte und Hilfskräfte. Und ich lieg derzeit bei 60% Fachkräften und 40 % Hilfskräften.

In den Wohngemeinschaften, die wir außerdem noch haben, haben wir das so geregelt, dass wir 80% Fachkräfte und 20% Hilfskräfte haben, die aber nur dann da sind, wenn mindestens eine Fachkraft vor Ort ist.

Schätze neben Unrat -Fahrräder sind ein begehrtes Gut.

Verweis: Wie war der Kontakt zu den Jugendlichen am ersten Tag bzw. das erste Aufeinandertreffen?

Eszlinger: Naja, es hat mehrere erste Tage gegeben, weil wir immer wieder nachbelegt haben. Am ersten Tag kamen 14 Jungs, mit der nächsten Belegung kamen sechs Jungs, dann kamen zehn, weil wir immer wieder nachbelegen.

Es ist immer wieder interessant, immer wieder spannend, wie vor einem Theaterauftritt, weil man nie genau weiß, wie die Leute reagieren, in dem Falle die Jungs. Die wissen eigentlich, wenn sie herkommen, es geht in einen Container, es geht nach Neuburg, es gibt das und das Taschengeld, und wir haben einen Schulplatz.

Nur deswegen kommen sie, weil sie wissen, dass sie hier ihr Taschengeld und ihre Lebenshaltungskosten ausbezahlt bekommen, das heißt, sie gehen selbst einkaufen und kochen selbst. Das ist ein großer Unterschied zu den anderen Trägern, weil da die Jungs meistens mit Buffets abgespeist werden, oder es wird zusammen gekocht. Und ja, dann kommen die Jungs hier an und dann machen wir’s immer so, dass wir uns in der großen Küche versammeln, weil wir keinen Gemeinschaftsraum haben. Es werden alle versammelt und dann werden sie willkommen geheißen.

Und dann stellt sich hier jeder vor, auch die Betreuer, und dann bekommen sie quasi eine Ansage, wie das hier bei uns läuft. Es ist natürlich sehr schwierig mit der Sprache. Es gibt ein paar Jungs, die sind schon länger bei uns, die sind auch schon länger hier in Deutschland.

Der Längste ist seit fast einem Jahr da und spricht schon sehr gut Deutsch und ist halt einer, der uns immer auf Arabisch oder Somali übersetzen kann. Wir haben Jungs aus allen Herrenländern, das ist auch so gewollt. Normalerweise hatte das Jugendamt 90% Afghanen gezielt gesucht. Ich habe dann aber gesagt, dass wir lernen müssen, in einer multikulturellen Gesellschaft zu leben.

Das müssen die Jungs auch hier merken. Und deswegen hab ich gesagt, dass es keine Nationalität gibt, die hier im Vordergrund steht. Wir haben hier 37 Jungs aus 11 verschiedenen Nationen, und das passt so.

Die Flimmerkiste ist eine kleine Abwechslung im tristen Alltag.

Verweis: Wie sieht es eigentlich mit der Freizeitgestaltung bei den Jungs aus?

Eszlinger: lacht Sie kennen ja Neuburg. Ist begrenzt. Wir bieten auch intern eigene Sportarten an. Wir gehen selber zum Fußballspielen mit den Jungs und wir haben einen Karatetrainer als Mitarbeiter. Wir haben jetzt Anbindung an den Box Club, und ansonsten sind natürlich die Ressourcen begrenzt. An den Wochenenden fahren wir nach Ingolstadt zum Eislaufen oder zum Bowlingspielen, wo die Jungs dann aber selber einen Großteil bezahlen müssen. Wir zahlen auch einen Teil, aber die Jungs müssen auch etwas beisteuern. Spaß gibt es ja nicht umsonst. Das sind die Dinge, die wir machen können. Aber großartig Urlaube machen mit den Jungs, das gibt’s bei anderen Trägern, aber das könnten wir nicht abdecken.

Verweis: Haben Sie in Neuburg nur Zuspruch bezüglich der Containern erhalten oder wie haben Sie die Reaktionen der Neuburger empfunden, dadurch dass wieder mehr Flüchtlinge nach Neuburg kamen?

Eszlinger: Gut, also Neuburg ist flüchtlingserprobt. Die Asylunterkunft gibt es ja schon seit 25 Jahren oder länger. Ich bin eigentlich nicht so ganz glücklich gewesen am Anfang, dass wir auf dem Gelände der GU sind, weil die Jugendhilfe halt eine ganz andere Qualität an Betreuung ist.

Das kriegen wir auch als Rückmeldung. Die Jungs erhalten natürlich wesentlich mehr Unterstützung, sind sofort in der Schule, und die anderen Kinder, die in der GU leben, die haben das alles nicht. Da kommt ein Sozialarbeiter auf 200 Leute, und bei uns ist der Schlüssel bei 1 zu 4.Von der Bevölkerung her haben wir unwahrscheinlich viele Angebote an ehrenamtlicher Arbeit bekommen.

Von Anfang Oktober bis Anfang Dezember bin ich gar nicht dazu gekommen, das zu bearbeiten. Da hab ich irgendwann gesagt: ,,Leute, meldet euch noch mal, wir können gerade nicht“, und so weiter.

Mittlerweile läuft das eigentlich ganz gut, und wir haben aus allen Teilen der Bevölkerung, egal ob aus Schulen, von Schülerinnen und Schülern, von wo auch immer ganz viel Unterstützung erhalten. Natürlich gibt’s auch andere Stimmen, aber die übergroße Mehrheit ist absolut hilfsbereit, und wir bekommen immer wieder Angebote von Kleidungsspenden und haufenweise Zeug, das wir eigentlich gar nicht brauchen. Wenn‘s Winterstiefel sind und so ist es okay, aber die würden uns am liebsten fünf Kisten mit Kleidern vor die Tür legen.

Das können wir gar nicht leisten und dafür sind wir auch gar nicht da. Aber die Hilfsbereitschaft ist enorm. Ich hab das mal auf einer Podiumsdiskussion gesagt – stand auch in der Augsburger Zeitung – weil die Frage ja war, wo soll eine Obergrenze gezogen werden, und ist die Bevölkerung mit der Hilfsbereitschaft am Ende? Und dann hab ich gesagt, sie können mich ja für naiv halten, aber alles, was ich in Neuburg erfahren habe und was ich von meiner alten Arbeitsstelle und meinem Umkreis weiß, ist, dass wir noch ganz viel Platz nach oben haben. Und das kann ich nur bekräftigen.

Ein trauriger Anblick: Wo Müll liegt, kommt neuer hinzu.

Verweis: In welchem Zustand befinden sich die sanitären Anlagen? Gibt es Sammelduschen wie in der GU?

Eszlinger: Wir haben hier nur Zweibettzimmer, also gibt es hier letztlich keine Privatsphäre. Wir haben keinen Gruppenraum, sondern nur eine große Küche. Das ist sehr belastend, auch für die Fachkräfte. Es gibt keinen Raum für Privatgespräche, ich gebe dann immer mein Chefbüro dafür her. Sanitäre Anlagen gibt es für die Jungs. Es gibt zwei Bäder mit jeweils zwei Duschen und zwei Toiletten und insgesamt acht Waschbecken. Und im Krankenzimmer ist noch ein Waschbecken. Und die Personaltoilette gibt es natürlich noch. Aber die Jungs kommen ganz gut klar damit, muss man echt sagen.

Gemeinschaftsbereich – Hygiene sieht anders aus.

Verweis: Seit wann sind die Jugendlichen jetzt in Deutschland?

Eszlinger: Wir bekommen Zuweisungen nach dem Clearing. Die Clearingsphase dauert normalerweise vier bis acht Wochen. Wir bekommen aber auch Jungs, die fünf oder sechs Monate in Deutschland sind und in München waren. Und es gibt auch Jungs, die gerade mal eine Woche in Deutschland sind und quasi ohne großes Clearing hier ankommen. Das ist immer wieder spannend, weil nicht klar ist, ob sie für so eine offene Form, wie wir sie hier anbieten, geeignet sind.

Die Frage ist, ob sie selbstständig genug sind oder ob sie nicht vielleicht einen heilpädagogischen oder therapeutischen Bedarf haben. Und es wird für uns immer spannend, wenn hier Leute aus der Reihe tanzen. Erstens haben wir nicht so viel Personal, zweitens sind wir nur von 6:30 Uhr bis 22:30 Uhr hier. Nachts ist immer Security da, und von unserer Seite herrscht Rufbereitschaft. Da kann es schon mal kitzelig werden, aber bis jetzt haben wir keine Vorfälle gehabt, bei denen man gesagt hätte, das ist schon etwas Größeres. Aber wir haben auch schon Jungs zurückgeschickt.

Das verdreckte Treppenhaus.

Verweis: In welchem Alter befinden sich die Jugendlichen?

Eszlinger: Sie sind mindestens 16, wenn sie zu uns kommen. Manchmal gibt es schon die ein oder andere Ausnahme, z.B. wenn jemand in einem Monat 16 wird und sein beste Freund nach Neuburg verlegt wird. Sie dürfen aber auf keinen Fall 18 sein. Denn die Jugendhilfe geht standardmäßig bis 18 Jahre. Wenn man vorher einen Antrag auf Volljährigenhilfe stellt, dann läuft das normalerweise bis 21. Das ist auch unproblematisch, aber das Jugendamt sagt nicht unbedingt „hurra“, wenn wir einen fast 18-Jährigen bekommen, weil die natürlich sagen, der ist zwar quasi richtig bei uns, geht aber schon bald in die andere Form der Jugendhilfe über, nämlich in die Hilfe der jungen Volljährigen, die nicht immer gezahlt werden muss.

Ein Haus im Lager von außen.

Verweis: Gibt es von Sankt Johannes aus gemischte Einrichtungen?

Eszlinger: Es gibt nur Jungs, ich kenne auch aus meiner Erfahrungen nur Einrichtungen in Region 10 (Ingolstadt, Pfaffenhofen, Eichstätt und Neuburg), wo Jungs sind. Das hat einfach den Hintergrund, dass ganz wenig Mädchen allein in Deutschland ankommen, weil sie mit ihren Familien unterwegs sind. Die wenigen unbegleiteten Mädchen werden von der regulären Jugendhilfe betreut.

Links im Bild: Häuser des Lagers- rechts befindet sich das Verwaltungsgebäude.

Verweis: Wie sieht es eigentlich mit der Integration aus? Bieten Sie Deutschkurse an, und besuchen die Jungs staatliche Schulen?

Eszlinger: Das ist ein großer Pluspunkt von Neuburg und auch von anderen Landkreisen, die eher ländlich geprägt sind, wo es aber ein Berufsschulangebot gibt. Es ist schwer, die Jungs dann aus München raus zu verlegen, weil es dort für jedes Land eine Community gibt. es gibt einen Shop, wo sie Anschluss finden und ihre Landesspeisen kaufen können. Und das ist natürlich in Neuburg eher schwierig. Hier kann ich sie ins Reformhaus schicken und sagen, kauft euch überteuerte Hirse. Das ist natürlich nicht das tollste Lockmittel, und Unterhaltung gibt’s auch nicht.

Aber wer nachmittags hier ankommt, geht am nächsten Tag in der Früh zum Einstufungstest. Am zweiten Tag gehen die Jungs regulär in eine der fünf Integrationsklassen und lernen Deutsch. Das funktioniert auch super mit den Berufsschulen hier, denn da sind die Jungs gut aufgehoben. Integration ist ein größeres Thema. Da habe ich meine eigene Meinung: Man kann Integration schon fordern, aber nur, wenn man jemandem eine Perspektive, also eine dauerhafte Bleibeperspektive bietet.

Wir haben die Jungs schon teilweise drei Monate oder fast ein Jahr hier, doch von denen hat keiner in diesem Jahr einen Anhörungstermin für den Asylantrag. Das heißt, sie müssen mindestens ein Jahr warten, bis sie überhaupt angehört werden. Bis dann über den Antrag entschieden wird, vergeht nochmal viel Zeit. Wenn sie den Asylstatus dann haben, bedeutet das ja nichts anderes, als dass sie wieder zurückgeschickt werden, sobald in dem Herkunftsland wieder ein bisschen Ruhe eingekehrt ist.

Das bedeutet also gerade für Kinder und Jugendliche, die mit ihren Eltern nach Deutschland kommen, dass diese sich zehn Mal überlegen, ob die ihre Kinder in einem deutschen bzw. europäischen Sinne erziehen, wie es hier gern gesehen und gefordert wird oder ob sie sich sagen, ich muss in fünf Jahren sowieso wieder zurück, meine Kinder müssen mit und das bedeutet, sie müssen sich dann in Syrien und Afghanistan auskennen und die Werte von dort vermittelt bekommen, damit sie dort erfolgreich ein Leben aufbauen können.

Und diese Erfahrung hat Deutschland, die muss Deutschland haben: Der erste Schwung waren die Hilfsarbeiter aus der Türkei, aus Italien und Griechenland, mit denen man nie entsprechend umgegangen ist. Der nächste Schwung kam mit dem großen Balkankrieg in den 90er Jahren. Wir hatten Familien mit Kindern, die hier geboren wurden, teilweise dann auch schon acht oder neun Jahren in die Schule gegangen sind, hier sozialisiert sind, hier Freunde haben, und die man dann kurz vor dem Abschluss zurückgeschickt hat. Totaler Schwachsinn. Und deswegen finde ich Integration in dem Zusammenhang sehr problematisch.

Wenn ich jemandem jetzt sage, hey okay, hau rein, integriere dich, guck dein Wertebild an und justiere dich neu. Das ist eine Perspektive, wenn ich sage, du kannst hier bleiben, dann kann ich es fordern, anders kann ich es nicht fordern.

Für viele Bewohner des Lagers scheint das Licht am Ende des Tunnels weit entfernt – viele Türen sind verschlossen.

Verweis: Wie hoch stehen überhaupt die Chancen für die Jugendlichen, dass sie bleiben dürfen und dann später einen Beruf finden?

Eszlinger: Der Schulabschluss und so weiter ist ja relativ schnell gemacht. Die Jungs gehen jetzt in die Stationsklasse und danach haben sie ein oder zwei Jahre, in denen sie ihren Mittelschulabschluss nachholen können. Damit können sie auf eine Berufsschule gehen und einen Ausbildungsvertrag bekommen. Die deutsche Wirtschaft ist heiß auf diese Leute, das ist kein Problem. Ich glaube, in Bayern haben wir dieses Jahr Unmengen an offenen Lehrstellen, und die IHK hat die klare Aussage gemacht, dass die Leute gehalten werden müssen, dass sie hier eine Ausbildung machen und da bleiben sollen. Übrigens hat so früher Entwicklungsarbeit funktioniert.

Man hat versucht, die Leute hierher zu holen, hat ihnen etwas beigebracht, sie dann zurückzuschicken und ihnen gesagen, jetzt baut zu Hause auf, was ihr gelernt habt. Das wäre auch eine Perspektive. Man kann ihnen vermitteln, dass sie zwar einen unsicheren Asylstatus haben, aber hier eine gute Ausbildung bekommen. Egal wo sie ihr Leben verbringen, sie können sich etwas aufbauen. Es ist egal, ob das in Deutschland ist, dann nützt es uns direkt, oder in Somalia oder Eritrea oder wo auch immer, dann nützt es uns indirekt, weil wir nicht mehr so viel Entwicklungshilfe zahlen müssen. Wobei das auch totaler Schwachsinn ist, weil Europa ja mehr aus dem Topf rausbekommt, als er rein zahlt.

Also von daher könnte man sich da viele Sachen einfach sparen und pragmatisch angehen. Ein Problem ist aber auch, dass die Jungs, die hier leben, eine Lehre oder ein Praktikum anfangen und dann möglicherweise den Bescheid bekommen, dass sie wieder gehen müssen. Man sollte versuchen, den Leuten irgendwo Halt zu bieten. Das geht aber nicht, wenn ich keine Perspektive habe, wenn ich keine Sicherheit habe. Deshalb lohnt es sich, doch zu investieren. Ich weiß nicht, wovor die Deutschen Ängste haben, keine Ahnung. Wir brauchen junge Leute.

Es gibt sicher welche, die in der Forschung groß rauskommen werden, wir brauchen aber Facharbeiter, wir brauchen Hilfsarbeiter, wir brauchen in allen Schichten junge Menschen. Es tut mir irgendwo leid, wenn ich zu den Jungs sagen muss, wir müssen abwarten. Vom Bundesfachverband für unbegleitete Minderjährige gibt es Zahlen, wie hoch die Chancen für jugendliche Flüchtlingen stehen, bleiben zu dürfen. Die sind höher als bei normalen Asylbewerbungen und sind je nach Land verschieden. Ich weiß z.B., dass Eritrea und Syrien bei unbegleiteten Minderjährigen fast 100 % Anerkennungsquote hat. Aber es gibt auch andere Länder. Pakistan als sicheres Herkunftsland zu definieren, das kann ja auch nur der EU einfallen.

Verweis: Wie kommen die Jugendlichen untereinander zurecht? Wie ist es für sie, abgeschottet von Familie und Verwandten zu sein?

Eszlinger: Das kann man pauschal schlecht beantworten, weil da meistens Einzelschicksale dahinterstehen. Manche Jungs haben keine Familie mehr, es gibt Jungs, die haben nie eine Familie gehabt, dann gibt es Jungs, die haben ihre Familie während der Flucht verloren.

Dann gibt’s es noch Jungs, die haben guten Kontakt zu ihrer Familie. Dann gibt es Jungs, die werden von ihrer Familie unter Druck gesetzt, dass sie Geld schicken sollen. Da gibt es ein ganz breites Spektrum. Hier untereinander kommen die Jungs erstaunlicherweise gut zurecht. Natürlich gibt es da bestimmte Sachen, Afghanen sind sich ja untereinander nicht immer unbedingt grün. Das hat am Anfang gar nicht funktioniert, dann hat es eine Zeit lang so super funktioniert, dass ich dachte, hoppla, was ist jetzt passiert.

Aber weil immer wieder neue Jungs dazukommen und andere abwandern, ist das immer ein fragiles Gebilde, und zurzeit bauen sich ein paar Spannungen auf. In den Doppelzimmern leben immer zwei verschiedene Nationen. Es ist immer wieder schön für mich zu erleben, dass das geht. Da können wir Deutschen unheimlich von lernen.

Dampf im Bad – viele Bewohner müssen sich zwei Duschen teilen.

 

Neue Container für jugendliche Flüchtlinge.

Verweis: Wie sehen sie die Zukunft von Deutschland bezüglich Flüchtlingen, Pegida und allem, was noch kommen könnte?

Eszlinger: Das ist reine Spekulation, niemand weiß, was passiert. Was relativ sicher sein dürfte, ist, dass der Flüchtlingsstrom nicht so schnell nachlässt. Dass es über den Sommer noch mehr wird, davon gehe ich mal aus. Und dass das natürlich eine Herausforderung ist für Europa, für Deutschland, ist ja keine Frage, wenn tausende, zehntausende, hunderttausende Leute mit verschiedenen kulturellen Hintergründen dazukommen. Auf der anderen Seite ist es so einfacher. Denn es ist schwieriger mit einer homogenen Gruppe zurechtzukommen, die dieselben Werte und Normen hat, als mit vielen kleinen Grüppchen. Also kann man im Prinzip fast froh sein, so blöd es auch klingt, dass die Menschen, die zu uns kommen, aus möglichst vielen verschiedenen Ländern kommen.

Was wir in Deutschland unbedingt vermeiden sollten, sind zum einen solchen Sache, wie sie jetzt in Frankreich entstehen oder schon entstanden sind, diese Ghettoisierung von Ausländern und von sozial Schwachen. Das ist eine Katastrophe. Das sollte auf keinen Fall passieren, man sieht es aber kommen. Das sollte man mit allen Mitteln verhindern. Damit ist die Integration tot. Da schafft man Subkulturen und das hat dann weniger mit den Leuten zu tun, die kommen, sondern eher mit denen, die schon da sind. Es gibt immer schwarze Schafe dazwischen, das ist klar. Aber unter den Millionen, wie viele sind das denn? Und dann kommen Pegida und die Medien ins Spiel und bauschen die fünf oder sechs Vorfälle, die es gibt, bis zum Anschlag auf.

Verweis: Danke für das Gespräch!

Fotos – Betremariam Tebebe