Heiligabend

von Furkan

Heute starb ich. Es war in einer ruhigen Nacht vor Heiligabend. Noch vor drei Stunden habe ich die Wohnung für das morgige Weihnachtstreffen unserer Familie geschmückt. Nun lieg ich hier da, in meinem Bett, leblos, blass und starr. Mein Blick sieht in die Leere, doch erkenne ich nun etwas. Eine Silhouette. Die eines Mannes, stockdunkel, obwohl sie vor mir steht. Ich erkenne es an seinen zwei Hörnern, es war Mephisto.
Er spricht: „Ich bin hier um dich zu holen, dass du unartig warst, ist kein Unwissen.“ Er hat Recht. Noch nie war ich ein guter Mensch, doch das könnte ich doch noch ändern. Ich beginne trotz meiner Regungslosigkeit zu flehen.
„Gib mir Zeit! Oh, ihr gabt mir doch noch keine Zeit! Noch diese Nacht und ich zeige euch, welch guter Mensch ich sein kann!
Gib mir Zeit! Oh, ihr gabt mir doch noch keine Zeit, meine Familie an Heiligabend zu verabschieden!“. Meine Leiche tränt. Mephisto lacht.
„Zeit, Zeit kann ich dir geben. Begehen wir doch eine Wette.“ Nun lächelt er, selbstsicher, streckt sich und ruft:
„Du, bring‘ mir den wahren Geist der Weihnacht vor Gesicht, dann bring‘ ich dich persönlich vor des Herren Gericht.
Du, wenn du vor Mitternacht versagst, so zerreiße ich den Vertrag und deine Seele ist auf ewig mein!“ Ich gehe die Wette ein.

Heute lebe ich. Es ist ein ruhiger Weihnachtsmorgen. Ich erblicke den wärmenden Sonnenaufgang durch die gefrorenen Fenster. Vor ihnen der vom Himmel fallende Schnee. Unter ihnen das Dorf mit weihnachtlicher Stimmung von Schnee, Dekoration und Farben bedeckt. Heute ist es soweit, heute rette ich mich vor dem Feuer. Ohne Frühstück gehe ich aus dem Haus. In beiden Taschen Geld. Heute sterbe ich, so spende ich mein gesamtes Bargeld an die Armen meines Dorfes. Meine Augen blicken zur Kirche.
Heute sterbe ich, so will ich noch in sie hinein. An die Tür getreten, merke ich, sie hat zu. „Keiner aus diesem Dorf kommt noch zum Gotteshaus“, ertönt eine Stimme, betrübt im Hintergrund. Es war der Priester. „Niemand hier scheint sich noch für den wahren Sinn der Weihnacht zu interessieren. Die letzten Jahre war es hier nur noch leer. Ich gehe heut‘ noch in die Stadt, habe dort einen Auftritt. Willst du mit?“. Ich verneine und verabschiede mich.
Den wahren Sinn der Weihnacht. Die Geburt Jesu‘ Christi scheint in diesem Dorf niemanden mehr zu interessieren. Ich sehe mich noch einmal genau um. Das so farbenfrohe Dorf sah nicht mehr so farbenfroh aus. Die Lichter orange, die Häuser dunkelbraun, die Menschen bekleidet in grauen und schwarzen Mänteln. Das einzige Lachen, das der spielenden Straßenkinder. Mir ist langsam eiskalt, so kehre ich wieder in mein Heim zurück, wo ich bis zum Abend an meiner Weihnachtsdekoration arbeite. Der Baum geschmückt, die Geschenke unter ihm. Der Truthahn bereit, der Tisch gedeckt.
Es klingelt. Ein Anruf. Die Eltern sagen ab, es sei etwas Wichtiges dazwischen gekommen.
Es klingelt. Ein weiterer Anruf. Die Geschwister sagen ab, sie seien heut‘ alle noch bis in die Nacht in der Arbeit.
So sitze ich da. Allein an Heiligabend. Höre wie die Uhr tickt. Die Zeit beginnt zu rennen und bringt mich zum Schwitzen. Kein Krach mehr draußen. Das Ende naht. Mir wird so eiskalt, die Lichter beginnen zu flackern und Mephisto fängt an zu lachen.
„Wo ist die Weihnacht in einer schwarz-weißen Welt?“ fragt er mit eroberischer Stimme.
Ich renne raus auf die verschneiten Straßen, die Kälte bringt mich zum Zittern. Doch die Zeit stoppt. Der Schnee steht im Himmel, die Welt singt stumm. Mir ist warm. Mephisto erscheint auf offener Straße vor mir, beginnt zu sprechen: „Die Zeit ist um. Du betest um Vergebung in einer Welt, in der die Menschheit nur noch auf ihre eigenen Werte achtet. Du betest um einen heiligen Abend in einer Welt, in der die Menschen jeden Abend alleine am Tisch sitzen. So endet unser Vertrag.“ Kurz vor dem Zerreißen des Papieres beginnt jedoch eines dieser Kinder in meine Richtung zu rennen und zieht an meinem Mantel. Ohne die grausame Gestalt vor mir zu beachten, sieht sie mir tief in die Augen. „Frohe Weihnacht mein Herr, sie sehen traurig aus, wollen sie mit mir und den anderen Kindern feiern?“
Die Zeit beginnt weiterzugehen, nun merke ich es. Der Sinn der Weihnacht hat in Mephistos Gesicht geschlagen. Das Kind vor mir ist das Symbol für unseren Zusammenhalt, für unsere Fürsorge und für unsere menschliche Liebe untereinander. Lachend verbringe ich den schönsten Heiligabend, den ich verbringen konnte.
Morgen starb ich.