Die Melodie (von Anastasia Steinfeld)

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Wie immer um 5:30 Uhr morgens spielt im Dunkeln diese blöde Melodie. Man muss wieder aufwachen und einen neuen Tag beginnen. Ein weiteres Mal nur eine Tasse heißen Kaffee zum Frühstück trinken, Zähne mit bereits langweiliger Minzpaste putzen und sich anziehen, wie gestern, zu spät, graue Kleidung, die nicht für das Wetter geeignet ist und die Wohnung verlassen. Die nächsten zwei eintönigen Stunden den gleichen, ewig langweiligen Weg in einem komplett mit Menschen gefüllten Zug erleben. In das Klassenzimmer erneut stürmen, sich beim Lehrer entschuldigen und in einem Raum mit seit Langem bekannten, identischen Gesichtern wiederfinden. Nach den nächsten vergangenen Unterrichtsstunden nochmals in den Zug steigen und mit einem vertrauten Gefühl der Müdigkeit ewig auf die Ankunft nach Hause warten. Wiederum Essen in einem leeren Kühlschrank suchen, dann lange Hausaufgaben erledigen und alles wie immer mit koffeinhaltigen Getränken herunterspülen. Noch einmal durch Social-Media-Feeds blättern, immer wieder dasselbe lesen und endlich einschlafen. Die Sorgen des Tages vergessen. Jeden Tag passiert das Gleiche, als wäre man in einer Zeitschleife gefangen und wüsste nicht, wie man wieder herauskommt. Man möchte einfach nicht auf das nächste 5:30 Uhr warten. Wie kann eine weiterleben, wenn das Leben nicht mehr interessant ist und man es jetzt schon auswendig kann?

„Vielleicht musst du nur jeden Tag anders gestalten, damit er nicht wie ein anderer aussieht? Finde neue Hobbys, probiere etwas Neues aus, ändere die Melodie deines Weckers…“ – das sagte die optimistische Freundin erneut. Ja, vielleicht. Aber möglicherweise ist diese Methode einfach nichts für mich. Und morgen wird eine andere Person mit demselben Gefühl aufwachen.