Die Brückenalternative

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Daniel Plotetzki

Was denkt sich der Vogel, wenn er jeden Morgen in demselben Nest aufwacht, umsorgt von der Mutter und gewärmt von den Geschwistern? Ihm scheint es gut zu gehen. Hin und wieder zankt man sich um das Essen, aber ansonsten ist es ruhig. Doch schon bald wird das Nest zur Falle. Man ist plötzlich eingeengt von jenen Räumlichkeiten, welche einst noch Geborgenheit suggerierten.

Die Enge treibt den jungen Vogel zum Springen. Ob er bereits fliegen kann, interessiert in diesem Moment niemanden. Es gibt kein Zurück und Stagnation ist des Teufels hoher Lohn. Doch wo wird unser gefiederter Freund landen? Auf dem harten Boden der Realität? Oder doch auf einem frisch sprießenden Ast der Hoffnung?

Dies richtet sich an alle Schüler, Studenten, junge Erfolglose und erfolgreiche Menschen, die das Nest verlassen möchten oder es bereits verlassen haben.

Den ersten Schritt ins Ungewisse zu wagen, ist nicht immer der einfachste. Jedoch ist der Wunsch, von eigenen Flügeln getragen zu werden, durchaus so präsent, dass die Abwägung relativ klein, gar als nicht existent, ausfällt.

Seien wir doch mal ehrlich. Wer nicht gelernt hat zu fliegen, fliegt mindestens einmal auf die Schnauze, bevor er sich in die Lüfte erheben kann. Wie lange man die Zeit auf dem Boden kriechend verbringen möchte, hängt dann ganz von der Bereitschaft der Selbstaufopferung und von dem Improvisationstalent ab. Wenn man Glück hat, findet man dort am Boden der Tatsachen andere, denen es genauso erging. Man hilft sich gegenseitig auf und beginnt vielleicht sogar ein gemeinsames Zusammenleben. Sei dies in Form einer Partnerschaft oder einer WG. Je nach sexuellen Vorlieben. Wer diese Erfahrung bereits gemacht hat, wird mir zustimmen, wenn ich sage, dass ein Leben auf engstem Raum (Immobilienmarkt der ***) durchaus erstmal ein Schock für die Parteien einer WG sein kann. Damals noch konnte man sich aus dem Weg gehen, wenn sich der andere in Unausgeglichenheit suhlte. Soziale Verträglichkeit – my ass – ,würde dieser sich denken. Doch zusammengepfercht in einer 40 qm Wohnung mit Durchgangszimmer gibt es nur den einen Weg. Ausdiskutieren ist die Devise, denn Schweigen hilft hier nun wirklich niemandem. Dann konfrontiere doch mal einen Partner/Freund/guten Bekannten mit seinen eigenen Fehlern und seinen emotionalen Eskapaden und erwarte dann bitte noch eine verständnisvolle Haltung. Daraufhin könnt ihr beide dann gemütlich auf Sitzsäcken Chai-Tee trinken und im Dunst des eigenen Schwafelns einem Schweif der Erkenntnis begegnen, der euch in das Reich von Regenbogenponys und Einhörnern führt.

Ganz zu schweigen von den durchaus normierbaren Alltäglichkeitsvereinbarungen, die sich ganz schnell in unkontrollierbare, der Logik entbehrende Phänomene verwandeln. Das andauernde Abspülparadox zum Beispiel. Oder die Badputzkontroversen. Aber vor allem das vorübergehend-apathische Hausarbeitverweigerungsmomentum. Ja diese Dinger sind schon so allgegenwärtig, dass sie sich gänzlich eigene Namen verdient haben.

Nun beginnt man vielleicht zu verstehen, warum die heutige Tendenz dahingeht, dass immer mehr vor allem junge Menschen alleine leben möchten.

Dazu kommt der steigende Selbstverwirklichungsdrang und der wachsende Egozentrismus versteckt in der Forderung nach Individualität.

Realistisch ist dies jedoch mitnichten. Wer sich die Immobilienpreise der letzten Jahre zu Gemüte geführt hat, mag doch eventuell feststellen, dass diese stetig in den Himmel steigen. Und wer meint, dass er mit einem Bafög-Höchstbetrag von 650,-€ eine 450,-€ Warmmiete ohne Unterstützung tragen kann, muss wohl ein Finanzgenie sein oder die besondere Gabe besitzen, auch mit 500 kcal am Tag auszukommen, sollte keinerlei nennenswerte Hobbys verfolgen und nie das Bedürfnis verspüren, das Haus zu verlassen.

Also bitte, was bleibt denn noch übrig? Wildcamping in einem heruntergekommenen Wohnwagen? Vielleicht reicht auch ein Karton ausgelegt mit Zeitungspapier neben einer brennenden Metalltonne.

Am Ende sieht die Brückenalternative doch kuscheliger aus, als man oberflächlich vielleicht angenommen hätte. Brücken halten effektiv den Regen ab. Außerdem hat man meistens noch die Wasserversorgung gleich vor der imaginären Haustüre. Nach dem Abkochen gibt es auch sicher keinen Durchfall. Vor allem bei Hochwasser ist man der Erste in der Informationskette. Besuch dürfte man auch regelmäßig von vielerlei Personen bekommen. So bleibt man nicht alleine und hat trotz allem noch Kontakt zur Außenwelt. Dieser bleibt dann aber meist nicht länger als unbedingt nötig, denn das Erscheinen von Blaulicht am Horizont, führt sicher bei vielen Besuchern zu einem unbezähmbaren Fluchtverhalten.

Also falls ihr mal wieder Stress mit eurem Mitbewohner haben solltet, warum dann nicht einfach die Gelegenheit beim Schopfe packen und Langeweile gegen Abenteuerurlaub im Urban-Style tauschen?